Großhandel schlägt Alarm

Die Schließung der Restaurants bedroht die gesamte Lieferkette bis hin zur Landwirtschaft.

Am Donnerstag wartet die Gastronomie gespannt auf die Ergebnisse der Videokonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den 16 Ministerpräsidenten und präsidentinnen. Denn es geht in dem Gespräch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur um die Frage, ob die Bundesbürger bald wieder Restaurants oder Cafes besuchen dürfen. Es wird wohl auch um die Zukunft einer Branche gehen, die allein in Deutschland jährlich 80 Milliarden Euro umsetzt. Und um ihr Netz von Zulieferern.

"Wir wollen bei Corona niemanden ins Verderben schicken. Es geht hier nicht um eine Öffnungsorgie, sondern um die Perspektive einer ganzen Branche mit ihrer gesamten Lieferkette, von der Landwirtschaft, über die Verarbeiter und den Großhandel bis zur Gastronomie", sagt der Geschäftsführer von Intergast, Ralf Lambert, im Gespräch mit dem Handelsblatt. INTERGAST ist ein Verbund von 40 mittelständischen Lebensmittel-Großhändlern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg mit mehr als 11000 Mitarbeitern an insgesamt 150 Standorten und steht damit im Zentrum dieser Branche.

Die Zeit drängt. Während der Einzelhandel zumindest teilweise schon öffnen darf, hat die Gastronomie noch überhaupt keine Perspektive. Das hat fatale Auswirkungen auch auf die Zulieferer. Viele mittelständische Großhändler kämpfen um die Existenz. Und wenn die Bestellungen bei Industrie und Landwirtschaft ausbleiben, kann es Monate dauern, bis der Nachschub wieder anläuft. Engpässe und Preiserhöhungen drohen.

"Wir befinden uns im Blindflug. Wir brauchen ein klares Signal, wann es weitergeht, sonst wird das ernste Konsequenzen haben. Wenn es nicht spätestens im Juni oder Ende Mai wieder losgeht, werden gewachsene Lieferstrukturen dauerhaft und unwiederbringlich wegbrechen", warnt Großhändler Lambert. "Die Lage ist ernst."

Selbst die Großen der Branche bleiben nicht verschont. So hatte der Metro-Konzern Anfang April schon gemeldet, dass der Umsatz mit Hotels, Restaurants und Caterern (Horeca) um 75 Prozent eingebrochen ist. Das MDax-Unternehmen hat deshalb bereits seine Prognose für das laufende Jahr zurückgenommen und traut sich zurzeit keine neue Einschätzung zu.

Metro-Aktienkurs halbiert

"Wir haben unmittelbar und konsequent Maßnahmen ergriffen, um auf den vorübergehenden Rückgang unseres Geschäfts mit Horeca-Kunden zu reagieren", teilte Metro-Chef Olaf Koch mit. "Wir reduzieren unsere Kosten, sichern unsere Lieferketten und unterstützen unsere Kunden mit zahlreichen Initiativen."

Der Aktienkurs des Unternehmens hat sich seit Jahresbeginn mehr als halbiert. Nun prüft die Ratingagentur Moody's wegen der Coronakrise sogar eine Herabstufung von Metro. "Dieser Schock wird die Gewinne von Metro deutlich beeinträchtigen", schreibt die Ratingagentur in ihrer Begründung. Moody's befürchtet, dass die Krise die Verbesserungen in der Kreditwürdigkeit aufzehrt, die Metro gerade erst durch die Verkäufe des Chinageschäfts und der Einzelhandelskette Real erzielt hat.

Einen ersten Hinweis auf die konkreten Auswirkungen gibt es am 7. Mai, wenn Metro die Ergebnisse des zweiten Quartals veröffentlicht, das bei dem Großhändler Ende März endet. Die Kunden aus dem Bereich Hotel, Gastronomie und Caterer standen im vergangenen Jahr weltweit für knapp 50 Prozent der Umsätze von Metro. Da ist es dann nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn der Großhändler in einigen deutschen Bundesländern nun vorübergehend seine Märkte auch für Privatkunden ohne Gewerbeschein öffnen darf.

Was für Marktführer Metro bereits eine kritische Situation ist, führt viele kleinere Konkurrenten geradezu in die Existenzkrise. "Bei dreimonatiger Schließung hat ein mittelständischer Lebensmittelgroßhändler schon seinen gesamten Jahresgewinn verloren", erklärt Markus Tkotz, Chef der MARKANT AG, eines Einkaufsverbunds, der auch mit 20 Prozent an der INTERGAST beteiligt ist. In der zweiten Jahreshälfte würden diese Mittelständler in diesem Jahr bestenfalls 50 Prozent ihrer geplanten Umsätze erreichen. "Das heißt, dass vermutlich alle Großhändler, die Gastronomie beliefern, in diesem Jahr tiefrote Zahlen schreiben werden, selbst wenn es zügig wieder losgehen würde", schlägt Tkotz Alarm.

Dass die Gastronomie weiter gehende Unterstützung braucht, scheint in der Politik immerhin angekommen zu sein. So war Teil des  Corona-Hilfspakets der Bundesregierung in der vergangenen Woche eine befristete Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie von 19 auf sieben
Prozent. Doch das entlastet die Restaurants erst, wenn wieder Gäste empfangen werden dürfen. Denn der jetzt schon mögliche Lieferdienst
und Außer-Haus-Verkauf wird ohnehin nur mit dem niedrigen Satz von sieben Prozent besteuert.

Die Verbände begrüßten die Mehrwertsteuersenkung, doch vielen Betrieben reicht das nicht. Sie machten ihrem Unmut in Facebook-Gruppen
Luft und veranstalteten am vergangenen Wochenende in vielen Städten Mahnwachen mit leeren Stühlen auf öffentlichen Plätzen. "Ohne Umsatz fruchtet auch die fairste Mehrwertsteuererleichterung nicht", brachte es der Münchener Hotelier Mario Trux in der "Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung" auf den Punkt.

"Brisanz völlig ignoriert"

Und den Zulieferern hilft die Steuersenkung schon gar nicht dabei drohen auch hier dramatische Folgen. Schon beim Lockdown mussten die
Großhändler der Gastronomie verderbliche Frischwaren im Volumen eines dreistelligen Millionenbetrags vernichten, weil es dafür keine Abnehmer mehr gab. "Ohne Perspektive für die Kunden aus der Gastronomie und damit auch sich selbst werden sich viele Großhändler die Frage stellen, ob sie diese absehbaren Verluste hinnehmen wollen und fürs Überleben sofern vorhanden noch privates Vermögen ins Unternehmen stecken", befürchtet INTERGAST-Chef Lambert. "Wenn es keine kurzfristige Klarheit gibt, werden einige aufgeben müssen."

Der Schaden geht sogar noch darüber hinaus. "Die Brisanz in den Lieferketten vor allem bei Frischware ignorieren die politisch Verantwortlichen bislang völlig. Da kann man nicht auf Knopfdruck hochfahren und bestellen. Das Geschäft läuft über langfristige Lieferkontrakte für Ernten", erklärt Lambert.

So müssen die Großhändler jetzt die Kontrakte für landwirtschaftliche Produkte mit Bauern und Nahrungsmittelindustrie abschließen. Gibt es noch keine Planungssicherheit, könnte es im Herbst und auch im kommenden Jahr einen Engpass bei wichtigen Waren wie beispielsweise Kartoffeln geben. Und das bekämen dann auch die Verbraucher zu spüren. Denn wenn das Angebot bei den Rohstoffen knapp wird, dürften auch die Preise in den Restaurants deutlich steigen.

Um deutlich zu machen, wie bedrohlich die Lage ist, hatte in der vergangenen Woche eine branchenweite Allianz einen Brandbrief an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben. Rund 100 Unternehmer und Firmenchefs hatten unterschrieben, darunter INTERGAST-Chef Lambert genauso wie Metro-Chef Koch, aber auch Edeka-Vorstand Ralf Hawig, Fleischfabrikant Clemens Tönnies oder die Spitzenköche Tim Raue und Heinz Winkler.

"Wir appellieren an Sie: Geben Sie den Gastronomen und Gastronominnen im Rahmen der aktuellen Abwägungen zu Lockerungen der Covid19-Restriktionen eine Perspektive, die sie ermutigt, für ihr Geschäft zu kämpfen", heißt es darin. Die Absender sprechen für 220 000 Betriebe mit rund 2,4 Millionen Beschäftigten.

Tim Raue hat schon vor drei Wochen zusammen mit anderen Gastronomen einen Brief an Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller
geschrieben. "Das Wasser steht uns buchstäblich bis zum Hals. Erreichen uns nicht unkompliziert und schnellstmöglich Hilfsgelder, werden viele den April nicht durchhalten können", klagen die Restaurantbetreiber.

Gebracht haben diese Aufrufe bisher offenbar nicht viel. "Wir haben noch keine Reaktion auf den Brief an die Kanzlerin", sagt Lambert. Nun hoffen alle Beteiligten, dass ihre Sorgen am Donnerstag bei der Kanzlerin auf der Tagesordnung stehen. Sicher ist bisher nicht mal das.

"Wenn es nicht spätestens bis Juni wieder los geht, werden gewachsene Lieferstrukturen dauerhaft und unwiederbringlich wegbrechen."
Ralf Lambert, INTERGAST-Geschäftsführer

Quelle: Handelsblatt

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